Blog-Beitrag #1 vom 27.09.2024 – Bastian Rolle
Pop-Cultural Comfort Zones: Was Marken lernen können.
Was sind Pop-Cultural Comfort Zones?
Pop-Cultural Comfort Zones sind emotionale Rückzugsorte in der Popkultur, die ähnlich funktionieren wie unsere persönliche, psychologische Komfortzone. In der privaten Komfortzone fühlen wir uns sicher, risikofrei und geschützt vor äußeren Bedrohungen oder Stressfaktoren. Pop-Cultural Comfort Zones bieten daher nicht nur Unterhaltung, sondern auch Stabilität und emotionale Sicherheit – denn Weltschmerz, Unsicherheiten, Ungerechtigkeit und mediale Überflutung können manchmal schon ein bisschen stressig werden. Umso mehr suchen Menschen nach Räumen, in denen sie Sicherheit, Zugehörigkeit und Echtheit finden. Dort können sie abschalten, fühlen sich verstanden und agieren mit Gleichgesinnten in einem vertrauten, wertfreien Umfeld. Pop-Cultural Comfort Zones sind emotionale Rückzugsorte, in denen Menschen Stabilität, Gemeinschaft und Vertrautes finden.
Typische Pop-Cultural Comfort Zones sind…
…Podcasts
Foto: Spotify / Gemischtes Hack
Hier sind die Hörer:innen zwar nicht physisch zusammen, doch „Hackis“ und „Kaulquappen“ (iykyk) fühlen sich durch gemeinsamen Humor, Insider und Rituale zugehörig und Teil einer engen Community, ohne sich je getroffen zu haben. Die banalen Alltagsthemen in solchen Podcasts verbinden. Das wöchentliche Hören neuer Folgen fühlt sich wie ein Fantreffen an. Fandom wird wieder Mainstream.
Beim Hören solcher Podcasts entsteht zudem das Gefühl, nicht allein zu sein – als würde man einem Gespräch unter Freunden lauschen, das eine vertraute und beruhigende Atmosphäre schafft. Die wöchentliche Veröffentlichung neuer Folgen gibt den Hörer:innen eine Art Routine und Beständigkeit. Interessanterweise sind es oft gerade die einfachsten, alltäglichen Gesprächsthemen, die die erfolgreichsten Podcasts ausmachen. Diese Themen bieten eine Leichtigkeit und eine Form von Eskapismus, die den Alltag für einen Moment vergessen lässt, ohne zu anspruchsvoll oder schwer verdaulich zu sein.
…Konzerte
Foto: www.instagram.com/coldplay
Konzerte werden immer mehr zu Safe Spaces, in denen sich Menschen frei ausleben und ausdrücken können. Awareness Teams werden immer üblicher. Und oft wurde eine Show schon von den Artists auf der Bühne unterbrochen, wenn jemand im Publikum Hilfe brauchte. Dass „Swifties“ Freundschaftsbändchen austauschen, ist nicht nur wiederbelebte 90er-Nostalgie, sondern zeigt, wie sehr sich Menschen nach Zugehörigkeit, Gemeinschaft und echten Verbindungen sehnen.
Das Gemeinschaftsgefühl beginnt oft schon lange, bevor man beim Konzert ankommt. Durch Social Media hat sich die Vorfreude auf Konzerte verändert. Fans tauschen sich aus, viele kennen die Setlist oder sogar Bühnenshows bereits im Voraus, was eine ganz eigene Art von Spannung und Erwartungshaltung schafft, die das Erlebnis auflädt.
Natürlich gibt es dabei Unterschiede zwischen den riesigen Superstars und den intimeren Auftritten kleiner bis mittelgroßer Acts. Doch egal ob vor einer riesigen Menschenmenge oder in einem kleinen Club – Konzerte schaffen Räume, in denen Fans zusammenkommen, um für ein paar Stunden den Alltag zu vergessen und in eine andere Welt einzutauchen.
…Artists
Foto: www.instagram.com/wer.ist.aggu
Von Badmómzjay über Ski Aggu bis hin zu Grönemeyer – sie nutzen ihre Reichweite für größeres als ihre Musik – sie vermitteln Werte und eine klare Haltung zu wichtigen Themen wie Gleichberechtigung, Sexismus, Rechtspopulismus und (leider) vieles mehr. Und diese Artists wirken authentischer als viele andere. Ja, „authentisch sein“ und „mit Fans interagieren“ sind Social-Media-Tipps von 2016. Es geht hier aber um ein neues Level. Weltstars wie Billie Eilish oder Lewis Capaldi gehen öffentlich mit ihren Unsicherheiten und Ticks um. Ed Sheeran lacht auf Social Media über seine eigene Musik und sich selbst. Ski Aggu fragt in seinem Song „Wer hört Ski Aggu auf ernst? Wer supportet das mit Herz?“ und macht sich damit angreifbar, spielt mit Selbstzweifeln und Bescheidenheit, was ihn nur noch beliebter macht. Durch Vulnerability entsteht eine Art Comfort Zone, weil diese Offenheit ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen vermittelt.
Artists gewinnen heute nicht nur durch ihre Musik, sondern vor allem durch ihre Nahbarkeit und Authentizität an Beliebtheit und Glaubwürdigkeit. Indem sie ihre Unperfektheit und Verletzlichkeit offen zeigen, werden sie für ihre Fans fast wie vertraute Gefährten – Menschen, die sie verstehen und begleiten. Diese Offenheit schafft eine Art Komfortzone, in der Fans das Gefühl haben, Vertrautes und Bekanntes zu treffen.
Was können Marken davon lernen?
Ich möchte nicht sagen, dass jede Marke zwangsläufig eigene Comfort Zones schaffen muss – das ist in den meisten Fällen auch nicht realistisch. Aber Marken können viel daraus lernen und sich inspirieren lassen. Das kann dazu führen, die eigene Marke menschlicher, authentischer und popkulturell relevanter zu gestalten. Servicehinweis: Alles auch gar nicht so einfach…
1. Eigene Zones schaffen, statt nur „auf ein Thema aufzuspringen“
Foto: McDonald’s
Anhand der Beispiele oben könnte man meinen, dass man durch das Einbinden von Artists als Marke leicht von diesem Fandom profitieren kann. Sich Bill & Tom für eine Werbekampagne schnappen – die Idee hatten in den vergangenen Monaten mehrere Marken. Doch hierbei bleibt es oft bei reinen Werbezwecken. Zwar erzielt man kurzfristig eine hohe Reichweite, doch die eigentliche Botschaft und die Werte, für die diese Artists stehen, gehen im Prozess verloren. Die Authentizität und die tiefe Verbindung, die sie zu ihren Fans aufgebaut haben, lassen sich nicht einfach auf eine Marke übertragen. Genau das ist der Knackpunkt: Es reicht nicht, nur den Fame der Artists mitzunehmen. Viel wichtiger ist es, eigene Plattformen, Events, Online-Communities und authentische Artist Partnerships zu schaffen, die über den bloßen Verkauf von Produkten hinausgehen. Marken, die langfristige und echte Verbindungen anstreben, müssen ihren Zielgruppen echten Mehrwert bieten und ihre Authentizität bewahren.
2. Wirtschaftliche Ziele zurückstellen
Foto: Deutsche Telekom
Den Werbespot mit Werten und Menschlichkeit starten, nur um anschließend einen neuen Geländewagen anzupreisen, kann unglaubwürdig wirken. Marken brauchen eine klare Mission, die über den reinen Umsatz hinausgeht, wenn sie Menschen auf einer tieferen Vertrauens- und Stabilitätsebene erreichen wollen. Kampagnen wie „Gegen Hass im Netz“ der Telekom mitzeigen, dass es möglich ist, für ein wichtiges Thema einzustehen, und auf Gemeinschaft, Gleichberechtigung und Zusammenhalt abzuzielen. Hier ist eine klare Haltung entscheidender als der unmittelbare Umsatz – dieser stellt sich langfristig durch die Glaubwürdigkeit und Authentizität der Marke von selbst ein.
3. Unperfektheit und Menschlichkeit
Foto: LBS
Marken, die sich selbst nicht zu ernst nehmen und Schwächen zeigen, schaffen Sympathie, Menschlichkeit und Nähe – das macht z.B. die BVG durch humorvolle Selbstironie und dem Spielen mit Klischees ziemlich gut. Und Authentizität ist die Währung der Popkultur. Ein weiteres gutes Beispiel ist die LBS mit ihrem Testimonial RIN. Der „Spießer-Rapper“ aus Bietigheim-Bissingen verkörpert schon immer das einfache, bodenständige Leben: Sonntags Kuchen essen, in der Vorstadt wohnen und ein unaufgeregtes Leben führen. Durch RIN wird das eingestaubte Thema „Bausparen“ plötzlich greifbar und durch Humor und Glaubwürdigkeit für eine jüngere Zielgruppe attraktiv.
4. Rituale und Culture Assets
Foto: Duolingo TikTok
Wiederkehrende Momente und Rituale sind essenziell für gefühlte Stabilität und empfundene Gemeinschaft. Marken wie Duolingo haben mit ihrem „Daily Streak“ ein Culture Asset geschaffen, das nicht nur an die tägliche Sprachlektion erinnert, sondern auch auf humorvolle und kulturell relevante Weise kommuniziert wird. Was als spielerische Motivation begann, entwickelt sich zu einem popkulturell anerkannten Ritual, das Nutzer:innen nicht nur an das Lernen, sondern auch an die Marke selbst bindet.
Pop-Cultural Comfort Zones bieten die Chance, echte Beziehungen zu Menschen aufzubauen. Marken, die es schaffen, sie nicht nur nachzuahmen, sondern aktiv zu gestalten, können Vertrauen schaffen und tiefe emotionale Bindungen aufbauen – Bindungen, die über reine Verkaufsstrategien hinausgehen und langfristig eine bedeutende Rolle spielen.